„Das muss man doch wissen.“ Dieser Satz fiel in gleich zwei Gesprächen in der letzten Zeit. „Das muss man doch wissen“. Es ging einmal um Martin Luther und einmal um deutsche Literatur. Da wusste eine Schülerin nicht, wer Martin Luther ist. Und ja, als Pfarrer bin ich geneigt zuzustimmen: sollte man wissen, könnte man wissen, zumal, wenn man ein Jahr vor dem Schulabschluss steht.
Doch wie schaut es aus bei deutscher Literatur? Mein Sohn hat seinem Bruder über whatsapp Bilder der vielen Lektüren geschickt, die er in der Oberstufe gelesen hat oder zumindest wahrgenommen hat und lesen hätte sollen. Da waren Lektüren dabei, die selbst ich nicht kannte. Dafür haben andere gefehlt. Und von moderner Jugendliteratur ganz zu schweigen.
Dabei habe ich gemerkt: wir neigen dazu, bestimmten Dingen sofort zuzustimmen. Was wir für wichtig halten, das muss für andere auch wichtig sein. Was für mich gut ist, das muss für andere auch gut sein. Auch auf instagram fällt mir das immer wieder auf. Da wird munter alles kommentiert, was influencer so posten, was ja auch der Sinn des Ganzen ist. Doch oft werden dabei auch Grenzen überschritten. Denn kaum jemand geht noch davon aus, dass andere sich Gedanken gemacht haben, warum sie etwas so und nicht anders machen. Kaum jemand geht davon aus, dass es gute Gründe dafür gibt. Wir neigen dazu, dass andere doch so handeln müssen, wir wir das auch tun. Dass andere das gut finden müssen, was wir auch tun.
Macht ein anderes Denken und Handeln unsicher? Stellt es uns vielleicht in Frage, wenn wir merken, dass andere die Dinge anders sehen und machen als wir? Zweifeln wir dann an dem, was wir für uns für gut erlebt haben?
Auch in der Diskussion um die Amtsführung des bisherigen Bundestrainers wissen alle ganz genau, wie es richtig geht und dass es so, wie er es gemacht hat natürlich auf keinen Fall geht. Da gibt es allerdings noch ein Korrektiv: die Ergebnisse. Stimmen die hat er alles richtig gemacht, stimmen die nicht, war natürlich auch alles andere falsch.
Da machen wir uns die Welt sehr einfach. Ich kann das schon verstehen, so komplex und kompliziert wie die Welt geworden ist oder wie wir sie inzwischen erleben. Dabei ist der christliche Glaube immer schon einer gewesen, der keine einfachen Antworten parat gehabt hat. Der Glaube an Gott ist eine Herausforderung. Er lässt uns oft ratlos zurück, manchmal stellen sich mehr Fragen, als er beantwortet. Und immer schon haben sich Menschen von diesem Glauben abgewandt, weil er ihnen zu kompliziert war. Da sind oft Gemeinschaften attraktiver, die einfache, schnelle Antworten bieten. Wir erleben das politisch auch: Wer viel von den Menschen verlangt, von dem wenden sich die Menschen ab. Wer hingegen einfach ein paar einfache Parolen in die Welt posaunt, egal, wie realistisch die sind, dem wenden sich die Menschen zu. Doch einfach Antworten haben oft genug nur für einen kurzen Sprint gereicht. Für einen Marathon – und genau das ist das Leben nun mal – tragen sie nicht.
Gott mutet uns den Marathon zu und er verspricht, dass er uns dabei unterstützt. Durchhalten müssen wir aber selbst. So manche Durststrecke müssen wir hinter uns lassen. Das wussten die Menschen zur Zeit der Bibel schon. Denn die Bibel ist voll von solchen Marathongeschichten. Geschichten vom Leben.
Muss man also wissen, wer Martin Luther war? Muss man Goethes Faust kennen? Ich kenne beides, gerade Faust war keine schöne Erfahrung. Doch er hat mich eines gelehrt: das Leben ist umfassend und komplex. Die Bewältigung des Lebens hängt daran, wie ich damit umgehen, jeden Tag aufs Neue. Luthers Freiheitserfahrung und seine Errungenschaft der Erkenntnis von der Gnade Gottes – die sollten noch viel mehr kennen. Denn das hat einen echten Mehrwert für das Leben. Doch Vorsicht: einfacher wird das Leben damit nicht? Aber gewinnbringender.
Für die kommende Woche wünsche ich euch: habts Zuversicht und bleibts gsund, nur diese Woche, für die kommende sorgen wir später.